Selbstverletzendes Verhalten
Informationen für queere Jugendliche

Skills – Alternativen zur Bewältigung

Was sind Skills?

Bei Anspannung und Überlastung fühlst Du vielleicht einen Überdruck, eine Überforderung oder kannst nicht mehr denken oder handeln („Freeze“). Wenn Du den Drang hast, Dich selbst zu verletzen, kannst Du mit dem passenden Skill diesen Drang „austricksen“, indem Du ihn befriedigst, aber ohne Dich dabei wirklich zu verletzen.

Wichtig dabei ist, dass der Skill zu Deinem selbstverletzenden Verhalten passt: Wenn es darum geht, dass Du Schmerz spüren willst, wird Dir ein warmes Bad wenig nützen. Um den Drang abzuschwächen, reichen oft schon ein paar Minuten Beschäftigung mit einem Skill. Skills können auch vorbeugend wirken. Kraft- oder Ausdauersport, lautes Mitsingen, Tanzen, Meditation, Yoga und vieles mehr können Dir helfen, Dich insgesamt ausgeglichener zu fühlen.

Warum Skills effektiv sind:

Skills sind Strategien, um den emotionalen Druck in schwierigen Situationen zu mindern. Sie bieten eine kurzfristige Erleichterung, ähnlich wie selbstverletzendes Verhalten, aber sie schaden deinem Körper nicht und helfen dir, den Drang zur Selbstverletzung zu überwinden. Skills sprechen gezielt deine Sinne an und lenken dich ab, ohne dass du dir selbst schadest. Sie bieten eine physische oder mentale Alternative, um intensive Emotionen zu verarbeiten und das Gefühl von Überforderung oder innerer Taubheit zu durchbrechen.
Durch den Einsatz von Skills lernst du, mit schwierigen Situationen umzugehen, was langfristig dein Vertrauen in dich selbst und deine Fähigkeit zur Emotionsregulation stärkt.

Wie Skills dir helfen können:

  • Schnelle, direkte Erleichterung
  • Skills sind leicht zugänglich und wirken oft schnell. Sie zielen darauf ab, dich im Moment abzulenken oder deinen emotionalen Zustand zu verändern, ohne bleibende Schäden zu verursachen.
  • Aktivierung der Sinne: Viele Skills arbeiten mit der Aktivierung deiner Sinne (z. B. Sehen, Fühlen, Riechen, Hören), um dich aus dem negativen Gefühlszustand zu holen. Diese sensorischen Reize helfen dir, dich neu zu fokussieren und starke Emotionen zu durchbrechen.
  • Wenn du lernst, Skills effektiv einzusetzen, stärkst du dein Gefühl der Selbstwirksamkeit, also das Vertrauen darauf, dass du die Kontrolle über deine Emotionen und Handlungen hast. Das kann dein Selbstvertrauen in schwierigen Situationen erhöhen.

Beispiele für Skills

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  • Igelbälle über die
    Haut rollen/drücken
  • Duftöle riechen
  • Musik hören/singen
  • Hände mit kaltem
    Wasser waschen
  • etwas Saures oder Scharfes lutschen
  • Akupressurringe nutzen
  • Gummibänder am
    Handgelenk flitschen
    lassen
  • ins Kopfkissen schlagen/schreien
  • Kartons zerreißen
  • rote Striche auf die Haut malen
  • Eiswürfel zerdrücken
  • kalt duschen
  • mit vertrauten
    Menschen sprechen
  • Arme oder Beine mit Wachs enthaaren
  • Mundspülung lange im Mund halten
  • mit Wäscheklammern zwicken
  • Wärmesalbe auf die Haut auftragen
  • in eine Chilischote beißen

weitere Beispiele für Skills

Neben Skills wie Igelbälle, Gummibänder oder Eiswürfel (Youtube-Video) gibt es viele andere Techniken, die du ausprobieren kannst, um dich von dem Drang zur Selbstverletzung abzulenken.

Hier sind einige zusätzliche Skills, die dir helfen können:

Atemübungen: Wenn du das Gefühl hast, die Kontrolle zu verlieren, kann bewusste Atmung helfen, dich zu beruhigen. 
Probiere die 4-7-8-Atmung (Youtube-Video): Atme 4 Sekunden lang ein, halte den Atem für 7 Sekunden an und atme dann für 8 Sekunden langsam aus. Diese Technik beruhigt das Nervensystem und hilft dir, dich zu zentrieren.

Urge-Diary führen: Ein Urge-Diary ist ein Tagebuch, in das du jedes Mal, wenn du den Drang zur Selbstverletzung spürst, deine Gefühle und die Situation aufschreibst. Notiere, wann der Drang aufkommt, was ihn ausgelöst hat und wie du dich fühlst. Durch das Aufschreiben lernst du, Muster zu erkennen und verstehst deine Emotionen besser.

Krafttraining oder progressive Muskelentspannung: Manchmal hilft es, den körperlichen Druck loszuwerden, indem du deine Muskeln anspannst und dann wieder entspannst. Mache eine körperliche Aktivität wie Liegestütze oder springe ein paar Minuten auf der Stelle. Dies gibt deinem Körper das Gefühl, aktiv zu sein, und lässt überschüssige Energie abfließen. Bei der Methode der progressiven Muskelentspannung (PMR)  (Youtube-Video) spannst du nacheinander verschiedene Muskeln an und entspannst diese danach aktiv.

Kreative Ablenkung: Zeichnen, Schreiben oder Basteln kann eine großartige Möglichkeit sein, deine Gedanken zu kanalisieren. Du musst kein*e Künstler*in sein – es geht nur darum, etwas zu tun, das dich ablenkt und es dir ermöglicht, deine Gefühle auf eine andere Weise auszudrücken.
Auch Tätigkeiten wie Stricken, Häkeln, Puzzeln oder Malen nach Zahlen bieten dir eine greifbare Aufgabe und lenken dich ab, während du etwas erschaffst.

Erdung: Erdungsübungen (Youtube-Video) helfen dir, wieder einen festen Stand im Hier und Jetzt zu finden, wenn du das Gefühl hast, dass deine Gedanken außer Kontrolle geraten.

5-4-3-2-1: Eine Technik besteht darin, fünf Dinge zu benennen, die du gerade sehen kannst, vier Dinge, die du fühlen kannst, drei Dinge, die du hören kannst, zwei Dinge, die du riechen kannst, und eine Sache, die du schmecken kannst.

Dich mit anderen vernetzen: Oft hilft es, Menschen zu finden, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Gemeinsam mit Freund*innen und anderen queeren Menschen, die dich verstehen, kannst du oft neue Kraft schöpfen.
Vielleicht findest du eine queere Gruppe in deiner Gegend oder eine Online-Community, in der du offen über deine Erfahrungen sprechen kannst, ohne verurteilt zu werden.

Langfristige Bewältigungsstrategien

Neben kurzfristigen Skills, die dir in akuten Momenten helfen können, ist es wichtig, auch langfristige Strategien zu entwickeln, um den Kreislauf der Selbstverletzung zu durchbrechen und einen Umgang mit deinen Emotionen zu finden. Diese Strategien helfen dir, deine Emotionen besser zu verstehen, zu regulieren und langfristig einen Weg aus der Selbstverletzung zu finden.

Therapie und professionelle Unterstützung

Eine der effektivsten langfristigen Maßnahmen zur Bewältigung von selbstverletzendem Verhalten ist professionelle therapeutische Unterstützung. Es gibt verschiedene Therapieformen, die speziell darauf ausgelegt sind, Menschen zu helfen.

Eine Therapeut*in kann dir dabei helfen, Gründe für dein Verhalten zu verstehen und dich auf deinem persönlichen Weg begleiten, schwierige oder traumatische Situationen besser zu bewältigen. Du wirst dabei unterstützt individuelle Strategien zu entwickeln die dir langfristig helfen mit Belastungen umzugehen.

Selbsthilfegruppen und Community-Unterstützung

Es kann sehr hilfreich sein, sich mit anderen Menschen zu vernetzen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Selbsthilfegruppen bieten einen sicheren Raum, um offen über deine Gefühle und Herausforderungen zu sprechen. Du bist nicht allein – es gibt viele Menschen, die ähnliche Schwierigkeiten haben und bereit sind, ihre Erfahrungen und Tipps mit dir zu teilen.

Besonders für queere Menschen gibt es auch queerfreundliche Selbsthilfegruppen oder Online-Communities, in denen du Unterstützung findest, ohne dich für deine Identität rechtfertigen zu müssen. Gemeinschaftsunterstützung kann dir helfen, dich weniger isoliert zu fühlen und neue, positive Beziehungen zu Menschen aufzubauen, die dich verstehen und dich bestärken.

Langfristige Selbstfürsorge und Wahrnehmen der Bedürfnisse

Selbstfürsorge ist nicht nur etwas, das du tust, wenn es dir schlecht geht, sondern eine langfristige Praxis, die dir hilft, dich um deine eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Dabei geht es darum, regelmäßig Dinge zu tun, die dir guttun. Das kann alles Mögliche sein – z. B. Sport, Musik machen oder Zeit mit Freund*innen verbringen.

Ein Beispiel für Selbstfürsorge, das du sofort umsetzen kannst, ist, dir eine kurze „Pausenzeit“ zu gönnen, wenn du merkst, dass es dir emotional nicht gut geht. Versuche deine Gefühle und in diesem Zusammenhang auch Bedürfnisse wahrzunehmen. Daraufhin machst du bewusst etwas, dass deinen momentanen Bedürfnissen entspricht wie z. B. dich zurück ziehen oder Energie los werden und z.B. ein paar Minuten zu deinem Lieblingssong tanzen. Es geht darum, deine Bedürfnisse wahrzunehmen, dass du dir bewusst Zeit für dich selbst nimmst. Dadurch fällt es dir auch leichter zu merken wenn du eine Pausen benötigst, bevor der Stress überhandnimmt.

Beziehungspflege und soziale Unterstützung

Langfristige Unterstützung kommt oft aus deinem sozialen Umfeld. Wichtig, eine Umgebung zu finden, in der du dich sicher und verstanden fühlst. Vertraute Freund*innen, Familienmitglieder oder Partner*innen können dir in schwierigen Zeiten zur Seite stehen und dir helfen, emotionalen Halt zu finden. Auch wenn es anfangs schwerfällt, offen über deine Gefühle zu sprechen, kann der Aufbau von Vertrauen und Kommunikation in solchen Beziehungen langfristig helfen, den Druck zu verringern.

Wenn du merkst, dass bestimmte Beziehungen oder Umgebungen schädlich für dein Wohlbefinden sind, ist es auch eine Form der Selbstfürsorge, Grenzen zu setzen oder Unterstützung zu suchen, um diese Beziehungen zu verändern oder zu verlassen.

Stärkung der Selbstwirksamkeit und neue Ziele

Ein wichtiger langfristiger Faktor im Umgang mit selbstverletzendem Verhalten ist das Gefühl von Selbstwirksamkeit – also das Vertrauen, dass du in der Lage bist, deine eigenen Emotionen und dein Verhalten zu beeinflussen. Durch das Setzen von kleinen, erreichbaren Zielen kannst du Schritt für Schritt deine Fähigkeiten stärken, mit Stress umzugehen, ohne auf Selbstverletzung zurückzugreifen.

Es kann helfen, neue Ziele und Interessen zu entwickeln, die dich motivieren und dir ein Gefühl der Erfüllung geben. Das kann ein neues Hobby, die Teilnahme an einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder das Verfolgen persönlicher Interessen sein. Diese positiven Erfahrungen können dir dabei helfen, ein Gefühl der Kontrolle über dein Leben zurückzugewinnen und das Verlangen nach Selbstverletzung zu verringern.

Hab Geduld mit dir selbst

Veränderung braucht Zeit, und es ist vollkommen in Ordnung, wenn es nicht sofort klappt. Rückschläge bedeuten nicht, dass du versagt hast – sie sind ein Teil des Prozesses. Jeder kleine Schritt, den du machst, ist ein Fortschritt, und du verdienst es, mit Mitgefühl auf dich selbst zu schauen. Sei sanft mit dir, erkenne deine Erfolge an, und erinnere dich daran, dass du nicht allein bist!

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Disclaimer

Die Inhalte dieser Seite dienen ausschließlich Informations- und Aufklärungszwecken. Sie sind keine medizinische, psychologische oder therapeutische Beratung und ersetzen nicht die Diagnose oder Behandlung durch ausgebildete Fachpersonen. Unser Ziel ist es, aufzuklären und Hilfsangebote sichtbar zu machen, um Wege aus der Selbstverletzung zu finden. Wenn du Fragen oder Sorgen bezüglich deiner physischen oder psychischen Gesundheit hast, wende dich bitte an eine Ärztin / einen Arzt, Therapeut*in oder eine andere qualifizierte Fachperson. Nur diese können eine fundierte Diagnose stellen und dir geeignete Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen. In akuten Notfällen oder Krisensituationen rufe bitte sofort den Notruf 112 an oder kontaktiere eine Krisenhotline.