Selbstverletzendes Verhalten
Informationen für Bezugspersonen

Der Kreislauf aus Schuld und Scham

Überwältigende Gefühle und Druck

Queere Jugendliche erfahren oft intensive emotionale Überforderung. Sie sind häufig mit überwältigenden Gefühlen wie Angst, Traurigkeit, Wut und Scham konfrontiert. Diese entstehen oft aus einem Zusammenspiel ihrer eigenen Identitätsfindung und dem gleichzeitigen Druck, in einer Gesellschaft zu leben, die heteronormative Erwartungen an sie stellt. Viele von ihnen fühlen sich beispielsweise gezwungen, ihre Identität zu verbergen, was zu inneren Konflikten führt und ein starkes Gefühl der Einsamkeit erzeugt kann.

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Minderheitenstress

Ein zentrales Modell, das die emotionale Belastung von queeren Jugendlichen beschreibt, ist das Minderheitenstressmodell (Meyer 2003). Dieser entsteht unter anderem durch den ständigen Druck, sich erklären oder anpassen zu müssen, um in einer heteronormativen und cisnormativen Welt akzeptiert zu werden. Diese ständige Angst vor Ablehnung oder Diskriminierung erzeugt eine zusätzliche hohe emotionale Last. Queere Jugendliche haben oft das Gefühl, dass sie anders sind und aufgrund dieser „Andersartigkeit“ von ihrer Umwelt abgelehnt oder missverstanden werden. Minderheitenstress ist eine chronische Belastung, die das psychische Wohlbefinden nachhaltig beeinträchtigen kann.

Schuldgefühle, Selbstzweifel und Scham

Schuld ist ein häufiges Gefühl bei queeren Jugendlichen, die ihre Identität mit den Erwartungen ihrer Familie, Freunde und der Gesellschaft in Einklang bringen wollen. Oft internalisieren sie die negativen Reaktionen auf ihre queere Identität und beginnen, sich selbst die Schuld für die Ablehnung oder das Unverständnis ihrer Umgebung zu geben. Viele von ihnen fragen sich, ob sie „falsch“ oder „unnormal“ sind, weil sie nicht den gängigen Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität oder Körperbild entsprechen.

Neben Schuldgefühlen erleben queere Jugendliche oft intensive Selbstzweifel. Sie sind sich ständig bewusst, dass ihre Identität von der Mehrheitsgesellschaft nicht immer akzeptiert wird, was zu Unsicherheit über ihren eigenen Wert und ihre Fähigkeiten führen kann. Diese Selbstzweifel können sich in vielen Bereichen des Lebens manifestieren und werden durch gesellschaftliche Normen und Schönheitsideale verstärkt, die queere Identitäten oft marginalisieren oder unsichtbar machen.

Scham ist eines der belastendsten Gefühle, das queere Jugendliche erleben, besonders wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Identität von der Gesellschaft als falsch oder minderwertig angesehen wird. Internalisierte Scham entsteht, wenn die negativen gesellschaftlichen Botschaften über queere Identitäten verinnerlicht werden. Jugendliche beginnen dann zu glauben, dass mit ihnen tatsächlich etwas „nicht stimmt“. Diese Schamgefühle sind oft besonders intensiv, wenn sie in Umgebungen aufwachsen, in denen queere Identitäten abgelehnt oder abgewertet werden.

Der Kreislauf von Schuld, Selbstzweifeln und Scham

Die Kombination dieser Gefühle kann zu einem Kreislauf führen, in dem Jugendliche sich zunehmend isolieren und negative Gedanken über sich selbst verstärken. Schuld, Selbstzweifel und Scham beeinflussen sich gegenseitig und verstärken den emotionalen Druck, der wiederum zu selbstverletzendem Verhalten führen kann. Selbstverletzung wird dabei zu einer scheinbaren Lösung, um diesen inneren Schmerz zu bewältigen, da sie kurzfristig Erleichterung verschafft. Doch auf lange Sicht verstärkt diese negativen Emotionen, da Jugendliche nach der Selbstverletzung oft wieder in Schuldgefühle und Scham zurückfallen.

Bei Schuld- und Schamgefühlen handelt sich um tief verwurzelte Emotionen, die durch strukturelle Diskriminierung verstärkt werden und den Zugang zu gesünderen Bewältigungsstrategien erschweren.

Quellen

Meyer Ilan H. (2003). Prejudice, social stress, and mental health in lesbian, gay, and bisexualpopulations: Conceptual issues and research evidence. Psychological Bulletin

Disclaimer

Die Inhalte dieser Seite dienen ausschließlich Informations- und Aufklärungszwecken. Sie sind keine medizinische, psychologische oder therapeutische Beratung und ersetzen nicht die Diagnose oder Behandlung durch ausgebildete Fachpersonen. Unser Ziel ist es, aufzuklären und Hilfsangebote sichtbar zu machen, um Wege aus der Selbstverletzung zu finden. Wenn du Fragen oder Sorgen bezüglich deiner physischen oder psychischen Gesundheit hast, wende dich bitte an eine Ärztin / einen Arzt, Therapeut*in oder eine andere qualifizierte Fachperson. Nur diese können eine fundierte Diagnose stellen und dir geeignete Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen. In akuten Notfällen oder Krisensituationen rufe bitte sofort den Notruf 112 an oder kontaktiere eine Krisenhotline.